Der Autopilot trifft selten intelligente Entscheidungen im natürlichen Fluss des Lebens…

 Julia Birgel
Coaching - Teamentwicklung - Persönlichkeitsentwicklung
info@julia-birgel.de
Tel +49 (0)152 563 79930

Je stürmischer die Zeiten draußen, umso wohltuender ist es, sich im eigenen Haus auszukennen

Nur wer sich selbst und seine Verhaltensmuster gut kennt, kann zu jeder Zeit über sein Verhalten bewusst entscheiden und sich selbst gut steuern. Wer in entscheidenden Momenten dem Autopilot das Steuer über sein Verhalten überlassen muss, der erzeugt nicht selten früher oder später Unzufriedenheit, Misserfolg und Leiden bei sich selbst und/oder im Umfeld. Selbststeuerung und gesunde Autonomie sind so nicht möglich. Und wir alle haben schon mehr als einmal erlebt: An den wichtigen Flussgabelungen trifft der Autopilot selten intelligente Entscheidungen für den natürlichen Fluss des Lebens.

Aber fangen wir mal am anderen Ende der Skala an... Solange wir uns in unserer Komfortzone wägen und die Welt um uns herum einigermaßen mitspielt, geht es uns gut. Wir kennen uns aus in unserem Haus. Unser Innenleben und das Meiste um uns herum scheint vorhersehbar, und wir rechnen damit, dass unsere Umgebung sich so verhält, dass wir unsererseits gut darauf reagieren können. Unbehagliches kann erfolgreich bewältigt oder auch mal situativ zur Seite geschoben werden. Unser inneres Erleben fühlt sich vertraut an. Auch wenn nicht alles perfekt ist (und auch nicht sein muss), wir fühlen uns sicher und Herr unserer Gemütslage. Die Selbststeuerung läuft, glauben wir. Zumindest scheint: Everything is under control.

Was ist mit Selbststeuerung gemeint? In Momenten, in denen ich mich selbst gut steuern kann, kann ich angemessen und realitätskonform mit mir selbst und mit meiner Umwelt umgehen. Der Realität angemessen bedeutet, dass meine Reaktion den Ereignissen der Realität entspricht. Ich kann mein Innenleben – also Gefühle, Gedanken, den Körper – wahrnehmen, einordnen und verarbeiten. Nichts muss weder unter- noch überdosiert daher kommen. Der anschließende Selbstausdruck dieser Wahrnehmungen bezieht sich dann im Idealfall auf das, was tatsächlich passiert.

Um der Realität angemessen zu begegnen, muss ich sie zuerst einmal unverschleiert wahrnehmen. Oft ist jedoch genau das nicht möglich. Jeder Mensch kennt diese Situationen, in denen ein individueller Schlüsselreiz genügt und es geht dahin mit der Selbststeuerung. Gedanken, Gefühle und Empfindungen steuern mich buchstäblich durch den Film, der dann abläuft. Und häufig frage ich mich dann im Anschluss, was dieser Film eigentlich mit dem tatsächlichen Ereignis zu tun hatte. Klar ist, dass ich nicht wirklich eine Wahl hatte, mich in diesen Sekunden für etwas anderes als diesen Film zu entscheiden. Im Nachhinein stellt man oft fest, dass man diesen Film schon tausend Mal gesehen hat.

"Schon wieder habe ich meinen Mitarbeiter runtergeputzt!!
"Schon wieder habe ich die Gehaltserhöhung nicht vehement eingefordert!"
"Schon wieder habe ich die Flasche Rotwein alleine ausgetrunken"
"Schon wieder habe ich nicht gekontert!"
Die Variationen sind endlos...

In diesen Momenten, in denen der Schlüsselreiz kommt, entscheidet das Unterbewusstsein in Sekundenschnelle über meine Reaktion. Oft laufen dann Defaultprogramme ab, die schon viele Jahre alt sind. Eine realistische Bewertung der Situation wird unter Ablauf eines solchen Defaultprogramms schwer. Und so passen Handlungsweisen dann auch nicht zur Realität. Und oft auch nicht zu dem, was man sich eigentlich vorgenommen hat. Dies sind Momente, in denen Möglichkeiten zur Selbststeuerung verloren gegangen sind. Es gibt keine Wahl, ob ich meinem Defaultprogramm folgen oder aussteigen will. Und gerade dann verhalten wir uns oft so, dass es für uns und/oder unser Umfeld destruktive Folgen hat.

Und dann knüpfen wir wieder an die Einleitung dieses Textes an: Nur wer sich selbst und seine Verhaltensmuster gut kennt, kann sich auch zu einem anderem Verhalten entschließen, als dem Defaultprogramm. Die Fähigkeit der Selbststeuerung gibt die Hoheit über den Umgang mit den eigenen Emotionen und daraus resultierenden Handlungen zurück. Besonders in stürmischen Zeiten, in denen Kontrolle über unsere Lebensumstände nur bedingt möglich ist (Veränderungen im Berufs- und Privatleben, Krisen, neue Lebensabschnitte), fühlen wir uns wohler, wenn wir Wahlmöglichkeiten haben.

Im Coaching werden problematische Situationen Stück für Stück aufgedröselt. Gemeinsam können Coach und Coachee den Programmcode entschlüsseln. Allein das Verstehen, was eigentlich abläuft, kann zügig eine deutliche Veränderung für den Coachee hervorrufen. Das Gefühl des "der Situation Ausgeliefertsein" nimmt ab und ein Gefühl gesunder Autonomie kommt auf. Neue Wahlmöglichkeiten können auf dieser Basis einfacher entwickelt werden.

Warum harren wir oft lange in Lebensumständen aus, obwohl sie uns spürbar nicht gut tun?

Julia Birgel

Coaching - Teamentwicklung - Persönlichkeitsentwicklung
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Echte, dauerhaft Veränderung ist selten leicht. Meist aus gutem Grund...

Warum ist echte und dauerhafte Veränderung oft so schwer? Diese Frage beleuchte ich in diesem Artikel auf Basis der Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft. Sie hat in den vergangenen Jahren Antworten gefunden, die eindrucksvoll deutlich machen, warum wir oft lange in Lebensumständen ausharren, obwohl sie uns spürbar nicht gut tun. Kurz und knapp lässt sich das folgendermaßen beschreiben: Alle Lern- oder Anpassungsvorgänge schlagen sich als synaptische Verschaltungen im Gehirn nieder. Die Links dieser Verschaltungen, Millionen von Verbindungen zwischen Nervenzellen, werden stärker und stärker je öfter sie benutzt werden. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie hätten gelernt, dass Sie sich in Gesellschaft von Gruppen eher zurückhaltend verhalten sollten. Damit verbundenen Verhaltensweisen würden sich in beruflichen Kontext zum Bespiel folgenderweise auswirken: Auf Empfängen stellen Sie sich nie in die erste Reihe, Sie sind eher wortkarg und sprechen leise und sowieso nur, wenn Sie gefragt werden. Diese Verhaltensweisen sind quasi als neuronale Autobahn in Ihrem Gehirn gespeichert. Zugehörige Nervenzellen können dann gar nicht mehr anders, als auf gewisse Schlüsselreize Signale abzufeuern. Das ruft in der Folge genau dieses Verhalten hervor. Das Gehirn prüft eine Situation, erkennt prägnante Merkmale und gleicht sie mit dem persönlichen Erfahrungsarchiv ab, identifiziert das Muster und die entsprechende Autobahn wird automatisch befahren. Sie sind dann quasi auf Autopilot unterwegs.

Soweit so gut und auch gar nicht schlimm. Es ist gut, dass wir Default-Programme für etliche Lebens- und Alltagssituationen zu Verfügung haben. Müssten wir alles immer wieder neu bewerten und entscheiden, wäre unser Gehirn heillos überlastet und wir lebensunfähig.

Problematisch wird es, wenn man mit dem Programm „Zurückhaltung in Gesellschaft“ eigentlich sichtbarer sein und sich zeigen will - und das auch in Gruppen. Was, wenn die Verhaltensweisen zwar zu Ihrer äußeren Hülle passen, sich aber nicht (mehr) passend Ihrer Persönlichkeit anfühlen? Oder wenn Sie aufgrund eines Karriereschritts sichtbarer werden sollen, um Ihre Rolle adäquat auszufüllen. Die neuronale Default-Autobahn wurde immer und immer wieder genutzt und ist fest verankert. Sie soll nun einer neuen Route Platz machen. Ein Ausstieg aus dem Automatismus, und sei er nur temporär oder rollenbezogen, ist dann alles andere als einfach. Denn die „Zurückhaltung“ ist vielleicht im Hinblick auf das Ziel nicht immer funktional und situationsgerecht, aber wahrscheinlich fühlen Sie sich damit zumindest sicher und keinem größeren Risiko ausgesetzt.

Die gute Nachricht ist, dass Veränderung der Gehirnstrukturen ein Leben lang möglich sind. Diese Kompetenz des Gehirns nennt sich Neuroplastizität. Im Persönlichkeitscoaching kann ein Muster im ersten Schritt erforscht und der ablaufende Automatismus kann bewusst gemacht werden. Im zweiten Schritt können im geschützten und vertraulichen Rahmen passende Handlungsalternativen entdeckt und ausprobiert werden. Kleine Trampelpfade werden als Alternativroute zur neuronalen Autobahn im Gehirn angelegt. Je öfter Trampelpfade genutzt werden, desto mehr automatisiert sich die neue Verhaltensweise. Was sich anfangs noch ungewohnt angefühlt hat und eventuell mit Angst oder Schamgefühlen einherging, fühlt sich dann selbstverständlich(er) an.