Warum harren wir oft lange in Lebensumständen aus, obwohl sie uns spürbar nicht gut tun?

Julia Birgel

Coaching - Teamentwicklung - Persönlichkeitsentwicklung
info@julia-birgel.de
Tel +49 (0)152 563 79930

Echte, dauerhaft Veränderung ist selten leicht. Meist aus gutem Grund...

Warum ist echte und dauerhafte Veränderung oft so schwer? Diese Frage beleuchte ich in diesem Artikel auf Basis der Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft. Sie hat in den vergangenen Jahren Antworten gefunden, die eindrucksvoll deutlich machen, warum wir oft lange in Lebensumständen ausharren, obwohl sie uns spürbar nicht gut tun. Kurz und knapp lässt sich das folgendermaßen beschreiben: Alle Lern- oder Anpassungsvorgänge schlagen sich als synaptische Verschaltungen im Gehirn nieder. Die Links dieser Verschaltungen, Millionen von Verbindungen zwischen Nervenzellen, werden stärker und stärker je öfter sie benutzt werden. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie hätten gelernt, dass Sie sich in Gesellschaft von Gruppen eher zurückhaltend verhalten sollten. Damit verbundenen Verhaltensweisen würden sich in beruflichen Kontext zum Bespiel folgenderweise auswirken: Auf Empfängen stellen Sie sich nie in die erste Reihe, Sie sind eher wortkarg und sprechen leise und sowieso nur, wenn Sie gefragt werden. Diese Verhaltensweisen sind quasi als neuronale Autobahn in Ihrem Gehirn gespeichert. Zugehörige Nervenzellen können dann gar nicht mehr anders, als auf gewisse Schlüsselreize Signale abzufeuern. Das ruft in der Folge genau dieses Verhalten hervor. Das Gehirn prüft eine Situation, erkennt prägnante Merkmale und gleicht sie mit dem persönlichen Erfahrungsarchiv ab, identifiziert das Muster und die entsprechende Autobahn wird automatisch befahren. Sie sind dann quasi auf Autopilot unterwegs.

Soweit so gut und auch gar nicht schlimm. Es ist gut, dass wir Default-Programme für etliche Lebens- und Alltagssituationen zu Verfügung haben. Müssten wir alles immer wieder neu bewerten und entscheiden, wäre unser Gehirn heillos überlastet und wir lebensunfähig.

Problematisch wird es, wenn man mit dem Programm „Zurückhaltung in Gesellschaft“ eigentlich sichtbarer sein und sich zeigen will - und das auch in Gruppen. Was, wenn die Verhaltensweisen zwar zu Ihrer äußeren Hülle passen, sich aber nicht (mehr) passend Ihrer Persönlichkeit anfühlen? Oder wenn Sie aufgrund eines Karriereschritts sichtbarer werden sollen, um Ihre Rolle adäquat auszufüllen. Die neuronale Default-Autobahn wurde immer und immer wieder genutzt und ist fest verankert. Sie soll nun einer neuen Route Platz machen. Ein Ausstieg aus dem Automatismus, und sei er nur temporär oder rollenbezogen, ist dann alles andere als einfach. Denn die „Zurückhaltung“ ist vielleicht im Hinblick auf das Ziel nicht immer funktional und situationsgerecht, aber wahrscheinlich fühlen Sie sich damit zumindest sicher und keinem größeren Risiko ausgesetzt.

Die gute Nachricht ist, dass Veränderung der Gehirnstrukturen ein Leben lang möglich sind. Diese Kompetenz des Gehirns nennt sich Neuroplastizität. Im Persönlichkeitscoaching kann ein Muster im ersten Schritt erforscht und der ablaufende Automatismus kann bewusst gemacht werden. Im zweiten Schritt können im geschützten und vertraulichen Rahmen passende Handlungsalternativen entdeckt und ausprobiert werden. Kleine Trampelpfade werden als Alternativroute zur neuronalen Autobahn im Gehirn angelegt. Je öfter Trampelpfade genutzt werden, desto mehr automatisiert sich die neue Verhaltensweise. Was sich anfangs noch ungewohnt angefühlt hat und eventuell mit Angst oder Schamgefühlen einherging, fühlt sich dann selbstverständlich(er) an.